Ein Kirchenbau der 50er Jahre
Wer auf der vielbefahrenen Bundesstraße 8 Glashütten passiert, wird kaum die evangelische Kapelle, einen seit 1996 denkmalgeschützten Kirchenbau der 50er Jahre, wahrnehmen. Sie liegt unauffällig, fast versteckt am südlichen Ortseingang, und man muss schon die schmale, steile Kirchstraße hochgehen, um sie zu entdecken, und sich dann auch ein wenig in eine andere Zeit versetzen, wenn man die Bedeutung dieses Bauwerks erfassen will. Aus der Tradition eines ehemals armen Straßendorfs ist die Kapelle nicht erwachsen.
„Die Kapelle hier, sanft wie der Taunushügel bei Glashütten, wo sie jetzt still und eigentümlich machtvoll emporgestiegen ist, dient nur diesem Zweck: sie bittet, ein-zukehren“, so hat der Architekt Professor Fritz August Breuhaus de Groot (1883-1960), ein Schüler von Peter Behrens, den Sinn dieses Bauwerks beschrieben. Eigentümlich machtvoll emporgestiegen? So sieht es noch auf älteren Fotos aus. Heute würde man anders formulieren, da doch die Kapelle inzwischen von beträchtlich in die Höhe ragenden Neubauzeilen bedrängt wird. Aber die Bitte, einzukehren, gilt heute noch und war für den damaligen Pfarrer der evangelischen Gemeinde, Otto Möhn, das wichtigste Anliegen. Das Zusammenführen von Pfarrer Möhn und dem Architekten Breuhaus de Groot ist durch Vermittlung des seit 1944 in Glashütten ansässigen Hanauer Architekten Wilhelm Kaus geschehen. Breuhaus de Groot hatte dessen Frankfurter Wohnhaus Zeppelinstraße 60 gebaut, in das die Familie Kaus 1953 von Glashütten aus umsiedelte, allerdings ohne ihr Glashütter Anwesen in der Waldstraße aufzugeben. So jedenfalls erklärte die Tochter Marita Kaus (1940-2010) im Jahre 2009 die eigentlich ungewöhnliche Verbindung zwischen einem Oberroder Dorfpfarrer und einem Kölner Architekten.
Otto Möhn, geboren 1902, gestorben im Oktober 1980, kam 1928 als Pfarrer nach Oberrod. Es wird berichtet, dass er ein Mensch war, der mit ganzem Herzen hinter der von ihm betriebenen Sache stand. Das erklärt seinen großen Einsatz für das Projekt.
Der Bau einer evangelischen Kirche wurde erforderlich, da die Einwohnerzahl von sieben bis acht evangelischen Mitbürgern vor dem Krieg auf ca. 100 nach dem Krieg in dem 400 Einwohner zählenden Dorf Glashütten angewachsen war. Bis zum Neubau der evangelischen Kapelle stand die katholische Kirche im Ort auch der evangelischen Gemeinde zur Verfügung. Auf Dauer war dies natürlich kein befriedigender Zustand.
Der Architekt Fritz August Breuhaus de Groot, geboren im Februar 1883 in Solingen, gestorben im Dezember 1960 in Köln, entwarf vor allem Zweckbauten bis hin zu Schwimmbädern. Die evangelische Kapelle, deren Pläne er kostenfrei fertigte, ist das einzige sakrale Bauwerk seines Schaffens geblieben.
In der Zeit der 50er Jahre wurde Beton erstmalig auch im Kirchenbau eingesetzt. Er bildet in Schalenbauweise den Baukörper dieser Kirche, deren äußere Form an ein Zelt erinnert. Zelt bedeutet Aufbrechen, Unterwegssein, Wanderschaft auf ein Ziel hin gerichtet: die Form des Gebäudes ist eine theologische Aussage, die von den Gottesdienstbesuchern auch so empfunden werden soll.
Die Kapelle besteht aus einer Viertelkugel als Apsis, einer konisch sich erweiternden an den Längsrändern stetig gestützten Tonnenschale als Langhaus und einer Frontscheibe mit versteifenden Rändern. Die Schalendicke, ausgeführt in bewährter Spritzbetontechnik, verringert sich jeweils von 15 cm über den Fundamenten auf 8 cm Stärke im Scheitelbereich. Durch die Technik des vorgespannten Betons konnte ein stützenloser Raum entstehen.
Die Gesamtlänge der Kapelle, die keinerlei Nebenräume besitzt, beträgt knapp 16,00 m. Die Breite wächst von ca. 7 m auf ca. 10 m, die Höhe steigt bis auf 7 m an.
Die Querschnitte des Langhauses erscheinen als gleichseitige Dreiecke mit einem Winkel von 60 Grad, deren Spitzen mit einheitlichem Innenradius von ca. 2 m ausgerundet sind. Der links neben der Kirche stehende Glockenturm hat eine Gesamthöhe von 12 m, davon sind 3 m in der Aufschüttung versteckt.
Hinsichtlich der Innenausstattung gibt es reiche Korrespondenz zwischen dem Architekten und Pfarrer Möhn. Ein breites Thema nehmen die Lichtführung und die Verglasung dieser Kapelle ein. Die Lichtführung war dem Architekten äußerst wichtig, da dadurch im Kircheninneren eine einmalige Meditationsatmosphäre entstehen sollte. Die Scheibenanordnung als Trennung von Schale und Giebelwand des Gebäudes ist das einzige dekorative Element in der Kirche.
Der Bau dieser evangelischen Kapelle wäre ohne den enormen persönlichen Einsatz Pfarrer Möhns nicht möglich gewesen. Aus einem Brief geht hervor, dass er aus eigenen Ersparnissen 7.500,- DM für die Realisierung zur Verfügung gestellt hat, darüber hinaus konnte er die tatkräftige Unterstützung zahlreicher Firmen aus Glashütten und den umliegenden Dörfern erwirken. Da sind die Zurverfügungstellung des 300 m2 großen Grundstückes durch die aus Berlin stammende Familie Bagetz zu nennen, dann die äußerst kulante Vorgehensweise für die Beton-, Dachdecker- und Klempnerarbeiten der Firma Philipp Holzmann zu einem Preis von rd. 24.000,- DM. Die Glasarbeiten stammen von der Firma Derix aus Kaiserwerth (jetzt Taunusstein), die Bänke und das Taufbecken (äußere Form), wurden gefertigt von der Schreinerei Walter Veith aus Kröftel und der Schreinerei Anton Horn aus Glashütten, die Schlosserarbeiten von der Firma Walz aus Frankfurtund die Anstricharbeiten von der Firma Wick aus Glashütten. Der Fußboden und die Eingangsstufen wurden verlegt von Kurt Jungklaus aus Glashütten, die nur das Material der Kirche in Rechnung stellte. Die mittlere Glocke ist eine sog. Patenglocke. Sie stammt aus Schlesien. Die obere Glocke wurde von der Familie Wilhelm Kaus, Glashütten und danach Frankfurt, gestiftet. Obere und untere Glocke wurden in der Glockengießerei Gebr. Rincker, Sinn, hergestellt. Die Firma Theves stiftete das Glaskreuz, welches von der Meyerschen Hofkunstanstalt in München hergestellt wurde, die auch die Taufschale anfertigte. Das Kreuz aus Glas soll an die Tradition des Dorfes als ehemalige Glasbläsersiedlung erinnern.
Der Architekt Breuhaus de Groot hat seine Gedanken so formuliert: “….Die Kapelle behütet den, der sich ihr anvertraut, und sie übt auf den Einkehrenden eine geheimnisvolle Wirkung aus: er sieht kein Fenster, aber es öffnet sich ihm ein Raum, der durch die wandelnden Helligkeiten der Tagesstunden und Jahreszeiten lebt. Ohne Zierrat, ohne Anklang an den architektonischen Stil vergangener Epochen konzentriert sich der Raum auf die Lichterscheinung, wie der Mensch die Augen schließt, um die Klarheit seiner Seele zu gewinnen.“
Bildergalerie
Text: Rainer Nippert (Dipl.-lng. Architekt), 2005 und 2015
ergänzt von Ingrid Berg, 1998 und 2015